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Channel: Kommentare zu: taz-Karikatur “geschmacklos und völlig inakzeptabel”
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Von: bee

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@I. Wrobel:

Was Sie als Totschlagargument bezeichnen, könnte möglicherweise als Schluss einer längeren Diskussion stehen, die viele schöne Dinge hervorgebracht hat. Pressefreiheit beispielsweise, oder Kunstfreiheit. Oder eine demokratische Gesellschaft. Zitate gründlich toter Männer sind sowie manchmal vielschichtiger, als man ahnt. Manchmal mehr, als man fürchtet.

Gibt es inakzeptable Kunst? Die Freiheit von Kunst, Wissenschaft und Meinungsäußerung endet da, wo die strafrechtliche Verantwortung beginnt, da und nur da. Ich darf nicht öffentlich sagen: Kunibert Potschappel ist ein Schwein. Ich darf aber eine Figur auf die Bühne stellen, die sagt: Kunibert Potschappel ist ein Schwein. Ich darf sie sagen lassen: Ich bin ein Schwein. Ich darf selbst als Kunibert Potschappel auf die Bühne gehen und mich als Schwein bezeichnen. Ich darf das malen und tanzen und Skulpturen aus Schmierkäse schnitzen, und keiner wird mich daran hindern. Kunibert Potschappel wird vor Wut schäumen, und er wird gründlich vergessen, dass er mir vor einem Jahr noch begeistert zugejubelt hat. Aber da hatte ich seinen Erzfeind als Esel tituliert, und das ist ja etwas ganz anderes.

Gibt es inakzeptable Kunst? Der Künstler hat also zu bedenken, was als Ziel seiner satirischen Versuche gerade noch korrekt ist. Man sieht das Kriterium innerer Grenzsetzungen so hübsch daran, wo eine sich als progressiv und aufgeklärt verstehende Bildungselite vehement den Anstand wahren will. Sie würden den Rasen nie betreten – dann sollen es verdammt noch eins die anderen auch nicht dürfen. Und sie zäunen gründlich ein, worüber man öffentlich spotten darf. Den Papst angreifen? Immer gib ihm, immer feste! Aber den Dalai Lama doch bitte nicht, das wäre ja unfein.

Gibt es inakzeptable Kunst? Demnach ist es eine ästhetische Frage. Und da wären wir doch mal sehr gespannt, wie man aus der Nummer wieder rauskommt. Mit einem Ehrenkodex deutscher Karikaturschaffender zur Aufrechterhaltung des Feingefühls? Oder besorgt derlei schon ein Bundesamt für Geschmacksfragen? Ich zum Beispiel kenne da diesen einen Schlagersänger – entsetzlich, mir verursacht das körperliche Übelkeit. Wo immer ich eins seiner Plakate an einem Bauzaun kleben sehe, stelle ich mich wutentbrannt davor, schüttele meine Fäuste und schreie: Ich werde dieses Konzert nicht besuchen! Und ich gehe nach Hause, tief befriedigt und im steten Bewusstsein, alles getan zu haben, was ein guter Demokrat nur tun kann. Nazivergleiche scheuern sich an mir wie die Wildsau an der Eiche. Dieser seichte Singsang, der mir so sauer aufstößt, ist nicht anders zu bekämpfen – und im Gegensatz zu den Dauerdiskutanten, die sich am Ende nur künstlich aufregen wollen, habe ich es dem Schlagerfuzzi wirklich gezeigt.

Was das Streitobjekt selbst betrifft, ich halte diese Karikatur nicht einmal für besonders geistreich. Ein tiefer Griff in die Klischeekiste. Aber es ist angenehm, in einem Land zu leben, in dem man alles, Lustiges und Lächerliches, publizieren kann in der Hoffnung, dass Zehntausend die Stirn runzeln und einer darüber schmunzelt. In genau dem Maß, in dem Tucholsky für freie Kunst, freien Funk, freien Film eingetreten ist (genau hier darf der geneigte Leser sich übrigens auch fragen, warum hinter dem sattsam bekannten Zitat die Quellenangabe steht – möglicherweise, um genau anzugeben, in welchem Kontext diese Äußerung zu Stande kam, damit andere nicht unreflektiert nachplappern müssen), ist der Satz heute noch gültig. Bleibt gültig. Amen.

Ach ja, eins noch. Werbung macht man am besten mit einer einigermaßen gehaltvollen Äußerung. Wer kauft schon einen Sack ohne Katze.


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